Ein Patient kann Schadenersatzansprüche gegen Ärzte oder Krankenanstalten dann erfolgreich durchsetzen, wenn ein Arzt einen Fehler zu verantworten hat. Außerdem muss der Arztfehler ursächlich für den eingetretenen Schaden sein. Die beiden wesentlichen Gründe, die zu einer Haftung eines Arztes oder einer Krankenanstalt führen können, sind Aufklärungs- und Behandlungsfehler. Die beiden Haftungsgründe können nebeneinander bestehen, unter Umständen bauen sie aber auch aufeinander auf oder gehen ineinander über. Im Folgenden möchte ich mich mit dem Behandlungsfehler auseinandersetzen.
Verletzung von Qualitätsstandards
Ein Behandlungsfehler liegt dann vor, wenn ein Arzt nicht nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft sowie der ärztlichen Erfahrung vorgegangen ist und die übliche Sorgfalt eines ordentlichen und pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation außer Acht gelassen hat. [1]
Mit anderen Worten: Passiert einem Arzt ein Fehler, der einem sorgfältigen Arzt in der jeweiligen Situation nicht passiert wäre, muss von einem Behandlungsfehler gesprochen werden. Oder: Unterschreitet der Arzt die geforderten Standards, handelt der Arzt fehlerhaft. [2]
Das führt unweigerlich zur Frage, was unter sorgfältig zu verstehen ist. Und wer legt diese Standards fest?
Zunächst ist wichtig zu wissen, dass es auf den Leistungsstandard und den Sorgfaltsmaßstab der jeweiligen Facharztgruppe ankommt. [3] Verständlicherweise wird also zur Beurteilung einer unfallbedingten Meniskusoperation ein Unfallchirurg und nicht etwa ein Allgemeinchirurg zu Rate gezogen. Mögliche Arztfehler im Rahmen eines Geburtsvorganges prüft in erster Linie ein Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Diese Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden.
Medizinische Standards können nur durch einen medizinischen Sachverständigen ermittelt werden. Das sieht in der Praxis so aus, dass das Gericht im Prozess einen Sachverständigen bestellt, der die durchgeführte Behandlung prüft und zu beurteilen hat, ob sie ordnungsgemäß war und dem Standard entsprochen hat. Dieser Vorgang ist das Kernstück in einem Arzthaftungsprozess. Der Ausgang des Verfahrens hängt regelmäßig vom Sachverständigen ab. Er legt fest, wie hoch die Latte des Sorgfaltsmaßstabes hängt.
Standards unterliegen übrigens einem stetigen Wandel, weil sich (medizinische) Wissenschaft immer weiterentwickelt. Bei der Beurteilung der Frage eines Behandlungsfehlers ist deshalb immer auf den Zeitpunkt der Behandlung abzustellen.
Ungleichgewicht möglichst ausgleichen
Meine Aufgabe sehe ich darin, dass ich bestmöglich vorbereitet in eine Verhandlung gehe. Dabei denke ich allerdings nicht nur an eine detaillierte Aktenkenntnis. Das darf jeder Mandant von jedem Anwalt in jedem Verfahren erwarten. Vielmehr denke ich an das medizinische Wissen, das ich mir für jeden meiner Fälle anlege – oder es wenigstens versuche. In einem Gerichtsverfahren lege ich viel Wert darauf, von Anfang an möglichst klar aufzuzeigen, worin der Sorgfaltsverstoß der Behandlungsseite begründet sein könnte. Das geht für mich als Nichtmediziner nur mit einer detaillierten und zeitintensiven Recherche.
Als Nichtmediziner hätte ich in der Diskussion mit dem Sachverständigen, die im Verfahren früher oder später ansteht, sehr bald größte Mühe, würde ich unvorbereitet in die Verhandlung gehen. Auf meine Wortmeldung hin antwortete ein Sachverständiger einmal damit, dass er sich diese Frage eher von Berufskollegen auf einem Fachkongress erwartet hätte. Das fasse ich nach wie vor als Kompliment auf.
Ich kann den Wissensvorsprung, den Mediziner im Vergleich zu mir haben, nicht lückenlos wettmachen, das ist mir durchaus bewusst. Für einen medizinischen Laien schlage ich mich dank meiner Vorbereitung meistens doch ganz ordentlich.
Schaden ist nicht gleich Fehler!
Wesentlich ist, dass ein Arzt keinen Behandlungserfolg schuldet. Der Behandler schuldet „nur“ eine Behandlung, die sorgfältig ist und dem Stand der medizinischen Wissenschaft entspricht. Tritt nach einer Behandlung der gewünschte Erfolg nicht ein, bedeutet das deshalb noch lange nicht, dass die durchgeführte medizinische Behandlung fehlerbehaftet war.
Ich habe es schon öfters erlebt, dass mir von geschädigten Patienten erklärt wird, dass seit der Operation dieser oder jener Schmerz besteht oder im Rahmen einer Operation dieser oder jener Nerv verletzt wurde; das müsse doch zu einer Schadenersatzzahlung führen. Nein, dem ist gerade nicht so. Tritt nach einem ärztlichen Eingriff ein unerwünschtes Ereignis auf, obwohl der Arzt keinen Fehler bei der Behandlung gemacht hat, so spricht man von einer Komplikation.
Nur dann, wenn die unerwünschte Folge auf einen Arztfehler zurückzuführen ist, wird eine Haftung der Behandlungsseite denkbar. Die Möglichkeiten von Behandlungsfehlern sind nahezu unbegrenzt, sie können sämtliche Bereiche ärztlicher Tätigkeiten umfassen. Immer öfters geht es übrigens auch um pflegerische Tätigkeiten, die fehlerhaft sein können.
Warum das Ganze?
Es stellt sich vielleicht auch die Frage, ob es überhaupt Sinn macht oder notwendig ist, sich näher mit dem Thema Behandlungsfehler zu befassen. Immerhin haben wir ein Gesundheitssystem, das funktioniert und den Vergleich mit anderen Ländern sicher nicht scheuen muss. Das sage ich nicht nur so daher. Hinter dieser Aussage stehe ich zu 100%.
Aber: Wie überall gilt, dass es auch unter Medizinern gute und weniger gute Vertreter der Zunft gibt. Die Tatsache, dass jemand Medizin studiert hat, bedeutet noch längst nicht, dass der Herr oder die Frau Doktor zum Beispiel auch handwerklich geschickt ist – eine Eigenschaft, die jeder gute Chirurg mitbringen sollte. Konkrete Daten zur Frage der Häufigkeit von Behandlungsfehler gibt es – gerade in Österreich – nicht.
Allerdings gibt es dennoch einige Zahlen und Fakten, die in diesem Zusammenhang äußerst erwähnenswert sind. So gibt es Studien und Schätzungen, wonach es in Deutschland in etwa 1% aller stationären Behandlungen zu vermeidbaren Fehlern kommen soll.
Und: 0,1%, aller im Krankenhaus behandelten Patienten würden infolge eines Behandlungsfehlers sterben. [4] Träfe dies tatsächlich zu, würde also jeder tausendste Patient aufgrund eines ärztlichen Fehlers sterben. Klingt nicht viel?
Nun, wenn man bedenkt, dass im LKH Feldkirch im Jahr 2022 insgesamt 43.700 Operationen durchgeführt und fast 78.000 Patienten stationär behandelt wurden [5], sieht man die Zahlen möglicherweise in einem anderen Licht. Das würde nämlich bedeuten, dass im Jahr 2022 alleine im LKH Feldkirch etwa 400 bis 800 Behandlungen fehlerhaft waren und 40 bis 80 Menschen infolge eines vermeidbaren (!) Behandlungsfehlers gestorben sind.
Zur Erinnerung: Wir reden hier nicht von bundesweiten Zahlen. Das sind Schätzungen, die sich nur auf ein Krankenhaus in Vorarlberg beziehen.
Wie erwähnt, können diese Zahlen und Hochrechnungen nicht belegt werden, sie dürfen daher nicht zwingend als gegeben hingenommen werden. Als Richtwert dienen sie aber allemal, weil sich viele Institutionen weltweit mit dieser Thematik befassen und die Ergebnisse überall mehr oder weniger gleich sind.
Interessant sind auch – sehr valide – Zahlen, die der Medizinische Dienst in Deutschland liefert. Im Jahr 2023 wurden etwa 13.000 Fälle untersucht, bei denen die Patienten einen Behandlungsfehler vermuteten. In etwa 25% der Fälle wurde eine fehlerhafte Behandlung festgestellt. [6]
Die Techniker Krankenkasse in Deutschland, die jährlich eine Statistik veröffentlicht, geht sogar davon aus, dass sich in etwa jedem dritten Fall Hinweise auf einen manifesten Behandlungsfehler so sehr verdichten würden, dass eine intensive Überprüfung in die Wege gelleitet wird. [7]
Einig ist man sich, dass eine erhebliche Dunkelziffer existiert, weil viele Betroffene keine rechtlichen Schritte einleiten wollen, nicht an einen Fehler denken oder diesen nicht erkennen (wollen). Dazu kommt das von mir bereits angesprochene Problem einer unter Umständen bereinigten Krankengeschichte. Nachdem ein Sachverständiger den Sachverhalt im Nachhinein zu beurteilen hat, ist er auf die ärztliche Dokumentation angewiesen. Gibt diese nicht die wahren Geschehnisse wieder, wird eine objektive Aufarbeitung der Sache erschwert (oder verunmöglicht).
Es geht nicht um Absichtlichkeit
Ganz wichtig ist es mir zu erwähnen, dass ich Ärzten ja nicht vorwerfe, dass sie absichtlich oder mutwillig etwas falsch gemacht haben. Vielmehr geht es um Fehler, die aus den unterschiedlichsten Gründen versehentlich passieren und vermeidbar gewesen wären. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Tritt ein derartiges Ereignis ein, ist es nach meiner festen Überzeugung absolut richtig, wenn der Schaden, der meist nicht oder zumindest nicht sehr leicht rückgängig gemacht werden kann, so gut wie möglich finanziell abgegolten wird.
Und im besten Fall lernen Ärzte und Krankenanstalten dazu und versuchen, den Arztfehler nicht zu personalisieren, sondern die Ursache dafür zu eruieren und Schritte zu setzen, die eine Wiederholung nicht zulassen.
Und dafür setze ich mich ein. Denn jeder (vermeidbare) Fehler ist einer zu viel.
Patrick Beichl
Quellen:
- [1] Kröll in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht2 (2015), Kap XXXVI. Rz 4; RIS-Justiz RS0038202
- [2] RIS-Justiz RS0113383
- [3] RIS-Justiz RS0026541
- [4] https://www.patientenbeirat.at/behandlungsfehler/index.php (zuletzt am 10.10.2024 aufgerufen)
- [5] https://geschaeftsbericht2022.landeskrankenhaus.at/ (zuletzt am 10.10.2014 aufgerufen)
- [6] https://md-bund.de/fileadmin/dokumente/Pressemitteilungen/2024/2024_08_22/24_08_22_PK_BHF_Jahresstatistik_2023.pdf (zuletzt am 11.10.2024 aufgerufen)
- [7] https://www.tk.de/presse/themen/medizinische-versorgung/patientensicherheit/behandlungsfehler-2023-2167562?tkcm=aaus (zuletzt am 11.10.2024 aufgerufen)
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